Der Kunstverein Friedrichshafen zeigt vom 2. Februar bis 30. März 2024 die erste Einzelpräsentation in Deutschland der belgisch-venezolanischen Künstlerin Angyvir Padilla unter dem Titel Whispering Floors, Trembling Breaths.
Flüsternde Böden und zitternde Atemzüge: In ihrem Werk arbeitet die in Brüssel lebende Künstlerin mit dem Unvereinbaren, mit Objekten und Erinnerungen, die sie zum Leben erwecken will. Angyvir Padilla erforscht in ihren Arbeiten Vertreibung, Migration und das Konzept von „Heimat“ durch immersive Installationen, die oft Skulpturen, Performance, Videoarbeiten und Ton umfassen. Ihre Praxis beschäftigt sich mit der Frage, was es bedeutet, ein „Zuhause“ zu haben, es zu verlieren, es zu suchen, sich danach zu sehnen und es wiederzuentdecken. Mithilfe unterschiedlichster Medien und Materialien erschafft Padilla Orte der Erinnerung und Erzählung.
Die Künstlerin füttert leere Wände und Böden; sie benötigt dafür nicht mehr als schlicht zusammengeschweißte Metallstrukturen. Sie dienen als Aufhänger für ihre Motive: Fotografien sind auf Textilien gedruckt und in Paraffin getränkt. In der Werkserie Home Unfoldable Home (2023) präsentiert sie Arbeiten bestehend aus Siebdrucken und Wachs auf Stoff, die auf Stahlrahmenkonstruktionen drapiert sind. Die Werke breiten sich auf dem Boden mitten im Raum aus; sie stehen im Weg und verhindern das Weitergehen. An den Wänden montiert, scheinen sie sich alle Ecken des Ausstellungsraums zu eigen gemacht zu haben. Auf dem Boden bilden sich verhärtete Wachspfützen, sie sind konkrete Spuren. Steht man unmittelbar vor den Arbeiten, so scheinen die abgebildeten Motive, die durch das Paraffin auch immer halb verdeckt werden, fast zu verschwommen, um etwas erkennen zu können. Sie zeigen ein Archiv von verblichenen Fotografien. Diese Bilder wurden von ihrer Mutter in der gemeinsamen Wohnung in Caracas aufgenommen. Es braucht den Abstand zu den Arbeiten, um Umrisse des Abgebildeten wahrzunehmen.
Mit La Casa Habitada zeigt der Kunstverein Friedrichshafen eine in situ Installation der Künstlerin, die teilweise in Caracas erarbeitet wurde. Für die raumspezifische Installation erschafft Padilla einen Lebensraum bestehend aus Elementen, die an ein Zimmer in einem Zuhause erinnern – und damit die konsequente Fortführung ihrer Praxis. Auch hier spielt sie mit dem fotografischen Gedächtnis: Die Abbildungen werden auf dekorative Textilien und Gebrauchsgegenstände gedruckt, werden zum Bettbezug oder Frotteehandtuch. Auf verwaschenen Kissenbezügen zeigt die Ausstellung private Momente aus einem anderen Leben und dringt damit in eine intime Welt der Künstlerin ein. Manche dieser Objekte werden dekorativer Teil des Raumes und der zart getönten Wände, schmücken Nachttisch und Regal. Padillas verblichene Fotografien sind auch hier materialisierte Erinnerungsobjekte, sozusagen der Korpus dessen, was bleibt. Diese Erinnerungen werden durch ihre konkrete Nutzbarkeit nun zu einem tatsächlichen Objekt.
Gleichzeitig scheint immer etwas unausgepackt. Wie viele Erinnerungen trägt man mit sich herum? Sie werden mitgeschleppt, sind das Zeichen der Vertriebenen. Immer mobil und unterwegs bleiben diese Objekte dennoch ein Teil von jemandes „Zuhause“. Die Künstlerin rekonstruiert einen Lebensraum und überführt ihn von der Realität in eine traumhafte Landschaft, die aus Vergangenheiten und Wünschen besteht. Das Gefühl der Sehnsucht nach einem verlorenen Zuhause, sei es aufgrund ihrer eigenen Diaspora oder der Schnelllebigkeit des modernen Lebens, ist ein wiederkehrendes Motiv in ihrer Arbeit.
Angyvir Padilla (*1987 in Caracas, Venezuela) schloss 2009 ihr Studium an der Caracas School of Design ab. Anschließend trat sie 2011 der Académie Royale des Beaux-Arts in Brüssel bei, bevor sie 2012 an die ENSAV-Schule La Cambre und 2016 die Saint-Lukas-Schule wechselte. Sie ist eine der Gewinnerinnen des Artcontest-Preises 2020 (Brüssel) und des SMAK-Freundespreises 2021 (Gent). Padilla stellt ihre Arbeiten regelmäßig in Venezuela, Frankreich und Belgien aus. Kürzlich wurden ihre Werke im Centre Wallonie-Bruxelles in Paris, im IKOB-Museum und im S.M.A.K-Museum in Belgien, sowie im Frac Grand-Large in Dünkirchen ausgestellt.
Kunstverein Friedrichshafen
Buchhornplatz 6
88045 Friedrichshafen
info@kunstverein-friedrichshafen.de
www.kunstverein-friedrichshafen.de
Öffnungszeiten:
Mi-Fr 15-19 Uhr
Sa So Feiertage 11-17 Uhr